Wenn es in den kommenden Wochen in Sondierungsverhandlungen und Koalitionsverhandlungen geht, darf ein Thema nicht zu kurz kommen: Die soziale Spaltung der Gesellschaft, ein Thema welches im Wahlkampf in der Berichterstattung sehr rar vorkam. Aber sie bietet Sprengstoff, der immer wieder zündet.
Meiner Meinung nach erklärt sich hier ein (großer) Teil der „Gereiztheit“ in der Einwohnerschaft Deutschlands der dann eine sachliche Diskussion in vielen Bereichen nicht mehr zulässt.
Ich glaube, dass die AfD in der Flüchtlingsdebatte unter anderem auch deshalb groß wurde, weil man in Teilen der Bevölkerung durch Hartz 4, und der Angst davor, nun fürcht(et)en noch „Konkurrenz“ um den letzten bezahlbaren Wohnraum und Gelder zu bekommen. Hinzu kommen Handlungsmuster die sich wiederholen, wie zum Beispiel, dass nun in der Pandemie, wie auch schon in der „Finanzkrise“ wieder Unternehmen zuerst und dann erst die Menschen unterstützt wurden. Das ist wieder einer der Punkte warum die schon seit Jahren Geplagten noch wütender wurden.
Wir müssen an die Wurzeln der Probleme. Dazu gehört auf jeden Fall den Menschen die Angst vor dem Fall ins Bodenlose zu nehmen, nicht jeden Hungerlohn annehmen zu müssen, nicht jeden Euro mühsam Erspartes aufbrauchen zu müssen, kurz die Agenda 2010 Reformen endlich rückgängig zu machen und eine Grundsicherung für alle zu schaffen, von der man auch leben kann.
Ohne die Auflösung der Ursachen für die „Gereiztheit“ helfen sonst auch alle schönen Programme und Werbung für Weltoffenheit, Toleranz, gegen Rechtsextremismus etc. nämlich wenig.
Man hätte ahnen können wohin die Agendareformen führen… Hierzu eine alte Pressemitteilung der Grünen Jugend Odenwaldkreis:
Pressemitteilung der Grünen Jugend Odenwaldkreis vom 30.9.2004
Hartz IV schafft keine Arbeitsplätze
Grüne Jugend beschließt Positionen zu den Arbeitsmarktreformen
Bei ihrem letzten Mitgliedertreffen diskutierte die Grüne Jugend Odenwaldkreis intensiv über die unter dem Namen "Hartz IV" bekannten Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung, sowie die Montagsdemonstrationen gegen diese Veränderungen. Am Ende der Diskussion stand der Beschluss folgender Positionen.
Das "Arbeitslosengeld II" verdient seinen Namen nicht
Man sollte es "Sozialhilfe II" nennen. Denn es liegt auf dem bisherigen Niveau der Sozialhilfe, für Familien mit Kindern über sieben Jahren sogar noch darunter. Damit ist "Hartz IV" für viele Arbeitslose und ihre Familien gleichbedeutend mit dem Weg in die Armut, legt man etwa die Kriterien zugrunde, die die Bundesregierung selbst in ihrem "Armut- und Reichtumsbericht" aufgestellt hat.Der Deutsche Kinderschutzbund hat zu recht darauf hingewiesen: ALG II bedeutet für weitere hunderttausende Kinder ein Leben auf Sozialhilfeniveau. Für viele Frauen führt die verschärfte Anrechnung des Erwerbseinkommens ihres Ehemannes zum Wegfall jeden eigenständigen Leistungsanspruchs. Arbeitslose werden gezwungen ihre Altersvorsorge anzugreifen.
Mit Hartz IV wird Armut normal
Hartz IV macht die Betroffenen im glücklichen Fall zu "Kunden" einer Bundesagentur für Arbeit, diskriminiert im schlechten Fall die Mehrheit zum "überflüssigen" Rest, der sich gefälligst um die wenigen Jobs rangeln soll. Denn Hartz IV schafft keine Arbeitsplätze. Erklärtes Ziel ist es, den Weg zu Jobs mit Armutslöhnen zu bereiten. Wir wehren uns gegen den neoliberalen Zynismus, wonach die Arbeitslosen selbst schuld an ihrer Arbeitslosigkeit sind.
Nach neoliberaler Logik sind die Arbeitslosen freiwillig arbeitslos. Weil sie nicht bereit sind, zu dem Niedrigstlohn zu arbeiten, der sie für potentielle Arbeitgeber "interessant" macht. Sozialleistungen seien deshalb "Beschäftigungsschwellen", die die Betroffenen von einer Erwerbstätigkeit abhalten. Sie zu senken ist in dieser "Logik" gleichbedeutend mit der Schaffung von Arbeitsplätzen. Am Ende stehen Niedrigstlöhne, bei denen die Betroffenen nicht einmal durch eine volle Erwerbstätigkeit ihren Lebensunterhalt sichern können: arbeitende Arme, "working
poor".
Hartz IV ebnet dafür den Weg. Wer "Mini-Jobs", etwa "1-Euro-Jobs" nicht annimmt muss mit erheblichen Leistungskürzungen rechnen, junge Menschen sogar mit dem völligen Wegfall aller Leistungen. Minijobs als ein sanktionsfähiges "Angebot" sind der Einstieg in einen staatlich subventionierten Niedriglohnsektor. Die von Arbeitgebern nicht gebrauchten und deshalb "überflüssigen" Arbeitslosen sollen sich jetzt wenigstens dadurch als "nützlich" erweisen, indem sie helfen das Lohnniveau zu senken. Sie sollen - bei Strafe des Leistungswegfalls
- jedes Arbeitsangebot annehmen, auch wenn der Lohn unter der tariflichen oder bislang ortsüblichen Vergütung liegt. So wird Lohndumping zum neuen Sozialstandard.
Soziale Sicherheit ist ein Menschenrecht
Wir meinen hingegen: Sozialleistungen sind keine "Beschäftigungsschwellen", soziale Sicherheit ist ein Menschenrecht! Man muss es sich nicht verdienen, auch nicht durch "1-Euro-Jobs".
Soziale Sicherung verdient ihren Namen nur, wenn sie Schutz vor Armut bedeutet. Das "Leistungsniveau" der "ALG II/Sozialhilfe II" ist deshalb völlig unzureichend, auch der auf zwei Jahre befristete Zuschlag für langzeitarbeitslose Erwerbsfähige genügt diesen Anforderungen nicht.
Wir brauchen soziale Reformen, bei denen die Richtung stimmt
Die gewaltigen Produktivitätsfortschritte in der Wirtschaft ermöglichen es mit immer weniger Menschen immer mehr Reichtum zu produzieren. Noch nie stieg die Arbeitsproduktivität so stark, wie jetzt: In den Jahren 1991 bis 2000 stieg die Produktivität von IndustriearbeiterInnen in Deutschland um
73,1 %. Anders ausgedrückt: waren 1991 für die Produktion von Waren im Wert von z.B. 50 Mio EUR noch 500 ArbeitnehmerInnen notwendig, so waren es im Jahr 2000 nur noch 290 ArbeitnehmerInnen. Gleichzeitig sank die in der Industrie aufgewandte Arbeitszeit zwischen 1991 und 2000 von 9,2 auf 6,2 Mrd Stunden, also fast um ein Drittel.
Die Zahl der Beschäftigten in der Industrie sank in dieser Zeit um ein Viertel, um 1,7 Millionen.
Auch wenn sie auf 20 % ihres Lohnes verzichtet hätten oder die sog. "Lohnnebenkosten" erheblich gefallen wären - sie wären überflüssig geworden. Der technische Fortschritt macht es möglich. (Alle Zahlen: Jahresgutachten des Sachverständigenrates der Bundesregierung 2002/2003, zitiert nach Roth, in: Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hrsg.) Eine Politik sozialer Menschenrechte 2003, S. 20).
Damit wird Arbeitslosigkeit zu einem allgemeinen Lebensrisiko und damit auch die Armut. Wir brauchen deshalb Reformen des Sozialstaats, die gegen Armut wirksam schützen. Reformen, damit diejenigen, die in Not geraten sind nicht mehr als Faulenzer, die sich in der sozialen Hängematte räkeln, stigmatisiert werden, oder als resignierte, zur Selbsthilfe unfähige Opfer der Verhältnisse abgeschrieben werden. Der notwendige Umbau des Sozialstaats darf nicht zum Anlass für seinen bloßen Abbau genommen werden. Zentraler Bestandteil einer solchen Reform ist eine soziale Grundsicherung, für die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN seit Jahren eintreten. Die Grüne Grundsicherung achtet die Autonomie der Leistungsempfänger. Sie stellt ein Recht dar, kein Almosen. Ermessens-und Willkürspielräume müssen ausgeschlossen werden. Eine Grüne Grundsicherung respektiert die
Bürgerrechte der LeistungsempfängerInnen und unterstützt ihre Teilhabe an der Arbeitswelt. Deshalb darf es keine Diskriminierung durch Zwangsarbeiten, Leistungskürzungen und Zumutbarkeitsregelungen, die zur Annahme jedweder Tätigkeit verurteilen geben. Die "Hilfe zur Arbeit", wie es sie nach dem Bundessozialhilfegesetz gab muss von ihren Zwangsdienstelementen befreit werden. Und nicht zuletzt: die Grüne Grundsicherung steht jedem zu - unabhängig von der Herkunft: sie soll auch an die Stelle des "Asylbewerberleistungsgesetzes" treten. Das ALG II von Hartz IV wird diesen Anforderungen nicht gerecht - ganz im Gegenteil. Insoweit gibt es für uns auch keinen Grund, die Regelungen von Hartz IV gegen berechtigte Kritik zu verteidigen. Für uns ist Hartz IV nicht das Nonplusultra grüner Sozialpolitik.
Protest ist richtig
Die Agenda 2010 wurde vielfach als Einladung zum Sozialkahlschlag verstanden. Der Lockerung des Kündigungsschutzes folgte der Vorschlag aus der CDU, ihn doch gleich ganz abzuschaffen. Der Aufhebung der paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung folgt der CDU Vorschlag der unsozialen Kopfpauschalen. Deshalb ist es richtig, wenn jetzt für mehr soziale Sicherheit demonstriert wird.
Zwangsarbeit führt zu Arbeitslosigkeit
Selbst wenn "1-Euro-Jobs" nur bei Freiwilligkeit angeboten würden, ist davon auszugehen, dass durch den Einsatz der Menschen zu diesem Tarif reguläre Stellen wegfallen. Wir sind überzeugt davon, dass durch den Wegfall von "Zwangsarbeit" in Deutschland neue reguläre Arbeitsstellen entstehen.
Mehr Informationen zur Grünen Jugend Odenwaldkreis gibt es im Internet unter www.gruene-odenwald.de/gjo
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