Antrag zum ordentlichen SPD-Unterbezirksparteitag am 14.09.2001 in Michelstadt
Antragsteller: Arbeitsgemeinschaft der JungsozialistInnen in der SPD im Unterbezirk Odenwaldkreis
Wehrpflicht abschaffen! Jetzt!
Der Parteitag möge beschließen:
Der SPD-Unterbezirk Odenwaldkreis setzt sich bundesweit für die Abschaffung der Wehrpflicht ein. Forderungen aus der Union, eine allgemeine Dienstpflicht für alle jungen Menschen einzuführen, um den Wegfall des Zivildienstes zu kompensieren, erteilet die SPD eine klare Absage.
Begründung:
1. Die Wehrpflicht ist ein Hindernis auf dem Weg zur erforderlichen Abrüstung in Europa. Europa ist auch 10 Jahre nach dem Fall der Mauer eine extrem hochgerüstete Region. Die größte der nationalen Armeen lässt nicht vermuten, dass wir uns in einer Phase der europäischen Kooperation und Zusammenarbeit befinden. Weiterreichende Abrüstungsvereinbarungen sind daher dringend erforderlich. Wir gehen davon aus, dass eine Sollstärke der Bundeswehr von 150.000 Soldaten eine verantwortungsvolle Zielvorgabe für Verteidigungspolitik der kommenden Jahre ist. Damit ist aber die untere Größenordnung der Wehrpflichtigenarmee bei weitem unterschritten.
2. Bereits seit vielen Jahren ist Wehrgerechtigkeit kaum noch gegeben. Bei einer weiteren Reduktion der Sollstärke ist sie endgültig in Frage gestellt. Ein Auswahl-Wehrdienst per Losentscheid ist ein verfassungsrechtlich äußerst bedenklicher Ausweg. Da Wehrgerechtigkeit eine wesentliche Voraussetzung der Wehrpflicht ist, darf es keine Wehrpflicht ohne Wehrgerechtigkeit geben.
- Der Wehrdienst ist ein Zwangsdienst. Wir halten die Aufrechterhaltung eines solchen Zwangsdienstes für einen tiefgreifenden Eingriff in die Lebensplanung und die Persönlichkeitsentwicklung eines jungen Mannes. Schon die Musterung zeigt Elemente staatlicher Repression. Wichtige Grundrechte wie das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung, das Koalitions- und Versammlungsrecht sowie das Streikrecht werden durch das Soldatenrecht eingeschränkt. Ähnliches gilt für Zivildienstleistende. Ein solcher Eingriff muss mit einem existentiellen Anliegen des Staates begründet werden.
Wo es keine Landesverteidigung geben muss, ist auch keine Wehrpflicht vonnöten.
Wer in der heutigen Situation die Wehrpflicht befürwortet, hat kein Argument mehr gegen die Einführung einer Dienstpflicht für alle.
4. Die Tatsache, dass der zivile Ersatzdienst zum wichtigsten Argument für Wehrpflicht geworden ist, halten wir für eine unglaubliche Fehlentwicklung. Richtig ist, dass die Aussetzung der Wehrpflicht einen großen Bedarf an Planstellen in wesentlichen Bereichen des Sozialstaats schaffen wird. Zahlreiche Studien belegen aber, dass diese Form der Konversion und damit die Abschaffung des Zivildienstes kostenneutral, eventuell sogar kostensparend möglich ist. Die begrenzte Einsatzfähigkeit der Zivildienstleistenden, ihre mangelnde Motivation und das fehlende Know-How setzt ihrer Effektivität erhebliche Grenzen. Daher lassen sich ZDLer in der Regel im Verhältnis 1:2 durch sozialversicherungspflichtige Arbeitskräfte ersetzen.
Durch die Abschaffung der Wehrpflicht und die Umstrukturierung der Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee können laut Schnell-Studie jährlich 7 Mrd. DM im Bundeshaushalt eingespart bzw. umgewidmet werden. Zusammen mit einem Teil dieses Betrages können die Mittel, die der Bund bisher jährlich zur Finanzierung von Zivildienststellen verwendet (ca. 2,5 Milliarden Mark), verdoppelt werden, und in den Fond „Neue Arbeit„ fließen, der die Mittel zur Finanzierung des öffentlich geförderten Beschäftigungssektors (ÖBS) bündeln soll. Die Konversion des Zivildienst in Arbeitsplätze des ÖBS wäre somit zugleich ein Beitrag, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren und Menschen Arbeitsgelegenheiten zu verschaffen, die ihnen eine Existenzsicherung aus eigener Kraft ermöglicht.
5. Wer das gesellschaftliche Verantwortungsbewusstsein stärken und das soziale Engagement junger Menschen fördern will, der muss andere Formen der gesellschaftlichen Teilhabe ermöglichen, der muss soziale Dienste finanziell und image- mäßig aufwerten und der darf FSJler nicht als ‚Billiglöhner ausnutzen. Der Erhalt staatlichen Zwangsdienstes ist in jedem Fall aber der falsche Weg. Wir lehnen daher auch die Einführung einer Dienstpflicht für alle als mögliche Alternative zum heutigen Zivildienst strikt ab. Die Vorstellung, Lohnkosten durch Dienstpflichten zu umgehen, ist mit sozialdemokratischen Positionen unvereinbar. Außerdem würden dann auch Frauen herangezogen, wodurch ein immenser Überhang an dienstpflichtigen Personen die Folge wäre. Zudem hat unsere Verfassung mit dem Arbeitszwangverbot in Artikel 12 eine bewusste Abkehr von nationalsozialistischen Vorstellungen der selbstverständlichen Indienstnahme der Arbeitskraft des einzelnen für den Staat vollzogen. Wir halten an der Aussage fest: Solidarität als die Bereitschaft, füreinander einzustehen, lässt sich nicht mit Rechtsverpflichtungen erwirken! Soziales Engagement kann nur freiwillig und selbstbestimmt geleistet werden.
6. Die Wehrpflicht war in der Anfangsphase der Bundeswehr ein wichtiger Beitrag zur Integration der Armee in die Gesellschaft. Heute jedoch gibt es andere tragende Faktoren. Mit unserem Modell einer Freiwilligenarmee mit kürzer dienenden Soldaten auf Zeit (SaZ) lässt sich einer Abkopplung der Armee von der Gesellschaft zusätzlich entgegentreten, denn die Soldaten müssen nach einer begrenzten Zeit ins berufliche Leben zurückkehren. Dieses Konzept ermöglicht der Bundeswehr auch die Integration unterschiedlicher gebildeter Bevölkerungsgruppen, sofern sie eine laufende Weiterbildung garantiert, sodass ein nahtloser Eintritt ins zivile Berufsleben möglich ist.
7. Angesichts der Bestrebungen, die Bundeswehr weltweit einzusetzen, erhoffen sich viele von der Wehrpflicht eine einsatzhemmende Wirkung. Die eigenen Söhne, so heißt es, würden nicht leichtfertig in Auslandseinsätze geschickt. Hier wird jedoch eine gefährliche Illusion geschaffen. Die für Auslandseinsätze vorgesehenen sog. Krisenreaktionskräfte (KRK) besteh bereits zu 80% aus Berufs- und Zeitsoldaten. Die restlichen 20% setzen sich auch nicht aus regulären Wehrpflichtigen zusammen, sondern aus freiwillig länger dienenden Wehrpflichtigen, die extra bezahlt werden. Normale Wehrpflichtige werden also gar nicht an Auslandseinsätzen beteiligt. Folglich können sie auch keine besondere gesellschaftliche Betroffenheit schaffen. Entscheidend ist vielmehr die Durchsetzung des Primats Politik. Die Sozialdemokraten haben in Karlsruhe erstritten, dass die Bundeswehr nur aufgrund eines Parlamentsbeschlusses international eingesetzt werden darf. Die Frage, an welchen Einsätzen sich die Bundeswehr in Zukunft beteiligen soll, muss politisch entschieden werden und darf nicht auf die Wehrpflichtigen abgeschoben werden, die an internationalen Einsätzen gar nicht teilnehmen.
Wir sehen mittelfristig eine stark verkleinerte Bundeswehr als unser Ziel hin zur Überwindung nationaler Armeen. Als Alternative zur Wehrpflicht schlagen wir eine Freiwilligenarmee vor. Damit ist keine reine Berufsarmee gemeint, da der Schwerpunkt bei Zeitsoldaten mit kürzeren Verpflichtungszeiten liegen soll, die nach ihrer Zeit beim Militär wieder in das zivile Berufsleben zurückkehren.
Durch entsprechende Einstellungstests, die auch in anderen Bereichen üblich sind, kann gewährleistet werden, dass keine Freiwilligen angenommen werden, die eine besondere Affinität zu militärisch-autoritären Denk- und Verhaltensweisen haben. Eine Freiwilligenarmee ist auch keinesfalls teurer als eine Armee mit Wehrpflichtigen. Volkswirtschaftlich gesehen ist die Wehrpflichtarmee die teuerste und ineffizienteste Lösung, da sie dem zivilen Sektor jährlich Zehtausende junge Männer entzieht und der Einsatzwert eines Freiwilligen zwei- bis fünfmal so hoch ist, wie der eines Wehrpflichtigen. Eine weitere Verkürzung des Wehrdienstes auf vier bis sechs Monate, mit der ein Milizsystem nach Schweizer Vorbild angesteuert wird, ist keine Lösung. Es ist nicht ersichtlich, für welche Aufgaben eine solche Kurzausbildung qualifizieren sollte, zumal das Territorium der Bundesrepublik nicht mehr bedroht ist.
Der Antrag wird weitergeleitet an
– den Bezirksvorstand
– den Landesvorstand
– den Bundesvorstand
– den Bundesverteidigungsminister
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